Mayas Zugfahrten durch die Mark Brandenburg – Caputh macht kaputt


In der Studentischen Texterschmiede an der Spree ist die „Touri-Reportage“ das gefürchtetste Ressort geworden. Wann immer mein Chef anruft und motivierend in den Hörer ruft:

Frau von der Spree, ich habe einen tollen Spezialauftrag für Sie, recherchieren Sie mal XXX im Umland!

zucke ich innerlich zusammen und denke an misslungene Ausflüge in ausgestorbene Orte und verödete Landstriche. Diesmal hieß das Thema attraktive Ziele für einen Sonntag am See, bitteschön leicht mit der Bahn zu erreichen. Dumm gelaufen, denn meine favorisierten Seen liegen entweder im Stadtgebiet, oder sind nicht mit der Bahn zu erreichen. Also hieß es für Reporter-Maya ein weiteres Mal auf in die Einöde, zudem alleine, denn bei bedecktem Himmel und 20 Grad kann man Freunden auch nicht zumuten jetzt doch mal eine Stunde mit dem Zug zu fahren, um Seen zu testen.

Das Witzige am Reisejournalismus in Brandenburg ist aber, dass man sich immer ein bisschen fühlt wie der Hase beim Wettlauf mit dem Igel, denn ein großer Urvater war immer schon vorher da: bei Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ findet sich Vorabinformation über so gut wie jeden Flecken der Steppe, die die Oase Berlin umgibt. Auch mein auserkorenes Ziel, die Gemeinde Schwielow, die gleich an drei Gewässern – Schwielowsee, Templiner See und Havel – liegt, hat der große Realist besucht:

Der Schwielow ist breit, behaglich, sonnig und hat die Gutmütigkeit aller breit angelegten Naturen

Subtext: es ist stink langweilig.

Da auf dem Brandenburger Land die Mühlen des Fortschritts langsam mahlen, hätte diese ca. 140 Jahre alte Aussage eigentlich genügt, dennoch maynte Maya, sich selbst überzeugen zu müssen und ergänzte nun die Eindrücke des alten Meisters anhand moderner Handy-Fotografie mit ein paar digitalen Bildern:

Trostlos steht die einst sicher hübsche Bahnhofsstation in typischer Backtsteingothik da und sofort schießen wieder Fluchblitze durchs Reporterinnenhirn: War ja klar, eine weitere Brandenburger Landpartie voller Öde und Trostlosigkeit steht an.

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Einladender Empfang - das verfallene und verschlossene Bahnhofsgebäude von Caputh

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Relikt aus alten Zeiten: die gelbe Telefonzelle. Hier kann man vom Planeten Brandenburg nach Hause telefonieren.

Aber nein, die Hoffnung stirbt zuletzt, und überhaupt, vom ersten Eindruck darf man sich niemals abschrecken lassen. Schließlich geht es um unberührte Natur und das idyllsche Wasserland Brandenburg. Also auf zum Badesee!

Das Seebad lockt mit einer sehr ansehnlich gestalteten Homepage, auf der neben dem Strand auch die drei umliegenden Gastronomien angepriesen und mit hübschen Bildern illustriert werden. Der Faktencheck in bester Plasbergischer Hart aber Fair -Manier bringt die ernüchternde Wahrheit ans Licht:

Die gesuchte Idylle?

Die gesuchte Idylle...

...im Realitätscheck

...im Realitätscheck mit Bauruinen verschandelt!

Noch gibt die verbissene Reporterin aber nicht auf, schließlich liegt hinter dem See ein Ort mit Schloss und Einsteinhaus. Mal sehen, ob hier die Highlights versteckt sind. Doch die Einblicke, die ich hier gewinnen konnte, waren noch ernüchternder. 20 Meter Sandstrand und die gepflegte Havelpromenade, auf der die Rentner stolzieren, müssen wohl ausreichen, die Touristen anzulocken, denn der Ort gibt nicht gerade viel her außer Sperrmüllhaufen, die sicher keiner plündern möchte:

Die "Straße der Einheit" - ein Gerümpelhaufen, sehr sinnbildlich...

Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt

mit diesen Worten soll Albert Einstein seinen Sohn zu einem Besuch in die väterlicher Sommerresidenz hier überredet haben, die bunte schillernde Welt muss man wohl auch erst vergessen oder auf sie pfeifen, um sich in dieser grauen faden Verlassenheit wohlzufühlen. Aber wer hätte je erwartet, dass ich die Vorlieben eines Physikers nachvollziehen kann…

Doch es gibt auch Lichtblicke, die Bürger nehmen ihr Glück selbst in die Hand. Wahrscheinlich haben schon fast alle Lehrer und Bibliothekare Reißaus genommen, auch einen Buchladen konnte ich nicht entdecken, damit die Jugend dennoch nicht auf das geschriebene Wort verzichten muss, tragen die findigen Brandenburger die Bildung einfach auf die Straße und Lehrmittelfreiheit wird hier ganz unkompliziert gelebt, wie der Bücherkoffer zur freien Verfügung beweist:

Bildungsoffensive

Sehr löblich: die Caputher Bildungsoffensive ist für den Nachwuchs kostenfrei...

Tatsächlich scheint die Jugend, trotz ihres Aufwachsens in größter Abgeschiedenheit, bemüht den Anschluss an moderne Subkultur zu halten.  Ganz auf der Höhe der Zeit waren zum Beispiel schablonierte Streetartefakte, die ich entdecken konnte:

...und erste urbane Streetart-Früchte

...und erste urbane Streetart-Früchte, der kulturelle Fortschritt ist unaufhaltsam.

Der kleine Streetart-Lichtblick kann jedoch nicht über die verheerenden Zustände in diesem Tal der Tränen, das nur wenige Fahrminuten außerhalb Berlins beginnt, hinwegtäuschen und so bleibt mir als Resumee nur ein weiteres Mal meinem geschätzten Nachbarn beizupflichten, der alles, was es zu Brandenburg zu sagen gibt, in dieses traurige Lied verpackt hat:

Die Suche und die Zugfahrten gehen dennoch weiter.

4 Antworten

  1. […] von der Landpartie im brandenburgischen Tal der Tränen saß ich pünktlich zum Tatort-Dienst vorm Fernseher und musste mich erneut mit den Nordlichtern […]

  2. Hmm… war Potsdam schon zu städtisch für den Zweck dieses Ausflugs? Denn SansSoucis und der Heiligen See sind ja nun wirklich ziemlich schmuck, sogar so sehr, dass keine Physiker, sondern Joop und Jauch dort wohnen… ich war mal mit jemandem zusammen, der aus einem Ort mit Kennzeichen „PM“ kam, bei dessen Anfahrt zwecks Elternbesuch mir die Wegweiser nach Caputh auffielen, eben weil das so kaputt klang 😉 War also nicht weit weg. Außer an die Ausflüge nach Potsdam und Berlin, die wir von dort aus unternahmen, kann ich mich an eine Gärtnerei erinnern, die zu einer Art Kulturstätte umgebaut worden war, mit einem Geschäft mit lokalen Spezialitäten, einem sehr guten Restaurant und anderen schönen Dingen… inmitten von alten Gemäuern… war also sehr hübsch, weiß aber leider nicht mehr, wie das alles hieß. Aber hm, ein See war auch nicht dabei. Also bringt das wahrscheinlich alles gar nichts, was ich hier schreibe 😉 Wahrscheinlich wurde ich damals einfach irre- und um die übliche Einöde geschickt herumgeführt!

  3. […] Berlins berichtet, das bis in den letzten Sandhaufen bereits von Fontane beschrieben wurde. Nach Reportagen aus den B- und C-Gebieten durfte ich diesmal in die A-Kategorie der Touristenziele vordringen und Schloss Rheinsberg sowie […]

  4. […] Tagesausflüge stehen an beiden Ecken Deutschlands ebenfalls hoch im Kurs. Und hier muss ich schmerzvoll zugestehen, dass die Spree dabei schrecklich ins Hintertreffen gerät. Auch wenn Tucholsky mit seinen werten Damen im Schloss Rheinsberg einigen Spaß hatte, das kann einfach nicht mit dem Monte Verità in Ascona mithalten! Neulich drohte mir ein Date mit einem romantischen Ausflug gen Caputh. Ich zuckte sofort innerlich zusammen, da ich noch Mayas Blogeintrag im Ohr hatte… Caputh macht kaputt. […]

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