Der Kunde hat eine moralische Wahl !!!


Als Kind der 80er träumte Teenager-Chloe davon, eines Tages an kühnen Greenpeace-Aktionen teilzunehmen. Sich für die Natur ganz aufopfernd anzuketten oder für Tiere ghandisch abzuhungern. Die Besetzung einer Ölplattform wurde bei etlichen Schulreferaten über Brent Spar bis ins kleinste Detail ausdiskutiert. Mit 18 Jahren wählte sie daher konsequent Die Grünen.

Doch irgendwann verlor Chloe den Fokus. Irgendwann lief sie in Fußgängerzonen abweisend an Aktivisten vorbei. Erfand – von ihrem Freund Jos Lars Soederbaum ertappt – auch Ausreden für ihren Einkauf bei Lidl.

Jetzt, während ihrer Auszeit, bekennt die verlorene Tochter wieder „Grün“. Reflektiert kritisch ihre Zeit in der Wirtschaft. Liest viel über Nachhaltigkeit & Konsumverhalten.

Mit dem aktuellen Schlecker-Skandal stieß sie auf einen Artikel, deren Behauptungen sie nun nicht grün, sondern rot anlaufen lassen. In „Zwischen Lohn-Dumping und Wirtschafts-Fatwa“ wird folgende These aufgestellt:

Die Mitarbeiter von Schlecker können einem ja auch wirklich nur leid tun. Die Märkte, die ich kenne, sehen alle aus, als stünden sie kurz vor dem Ausverkauf. Die Kassen sind chronisch unterbesetzt, worüber ich mich jedes Mal aufrege, wenn ich Shampoo oder Deospray kaufen will. Und dennoch weiß ich: Die Kassen sind unterbesetzt, weil die einzige vorhandene Mitarbeiterin im Drogeriemarkt gleichzeitig die Regale einräumen muss. Es läge also letztlich an mir als Kunden, nicht länger bei Schlecker einzukaufen. Aber habe ich denn die Wahl?

Wer meint, der Kunde könnte durch seine Entscheidung, woanders einzukaufen, gegen das Prinzip des so genannten Lohn-Dumpings ankommen, irrt. Der Kunde hat längst keine Wahl mehr. Es sind die Preise, die seine Kaufentscheidung diktieren, vor allem bei Produkten, wie sie in Drogeriemärkten angeboten werden. Andernorts mag man ja noch mit fachlicher Beratung für höheres Entgelt werben können – bei Zahnpasta und Waschpulver gibt es aber immer nur die eine Frage: In welchem Regal steht das?

Wenn schon der Kunde keine Wahl hat, wer dann? Es ist ein Mythos des Glaubens an die gerechte Gesellschaft, dass etwa ein Unternehmen wie Schlecker die Freiheit hätte, seinen Angestellten mehr zu zahlen. Wären die Preise infolge niedriger Lohnkosten nicht derart günstig, könnte sich das Unternehmen nicht entsprechend erfolgreich auf dem Markt bewähren. Mehr noch: Jede ungenutzt gelassene Möglichkeit, Gewinn zu erzielen, wird auf dem Markt doppelt bestraft. Der eigene Gewinnausfall wird getoppt durch die genutzte Gewinnmöglichkeit seitens der Konkurrenz.

Bei CICERO sollte man arbeiten! Da scheint man sich wohl auch ohne fundiertes Fachwissen im Wirtschafts-Ressort Journalist schimpfen und die Meinung von Lesern bilden zu dürfen. Auf der einen Seite wird hier der Konsument als vollkommen unmündige Markt-Marionette dargestellt. Auf der anderen Seite werden unmoralische Unternehmen auch noch in Schutz genommen! Das kommt fast dem Aufruf gleich den Bürgern einzureden, sie bräuchten nicht wählen gehen, um dann den Rechtsradikalen alle Freiheiten zu lassen. Und vom Umwelt-Genozid will am Schluss keiner etwas gewusst haben…

Zum doch sehr mündigen Kunden: Seit Sinus die Lohas (Lebensstil für Gesundheit und Nachhaltigkeit) für die Marketingabteilungen dieser Wirtschaftswelt als neue Zielgruppe auserkoren hat, boomt der Markt für diesen Lebensstil. Dem Lohaistischen Konsumverhalten wird nämlich gerade zugrunde gelegt, dass bei der gezielten Produktauswahl die Gesundheit und Nachhaltigkeit gefördert werden will. Es sind somit nicht die Preise, die „seine Kaufentscheidung diktieren“! Der Kunde hat eine Wahl.

Gegen die lifestyligen Lohas gibt es inzwischen jedoch auch genügend – und durchaus berechtigte – Kritik. Ein hervorragendes Buch hat hierzu Kathrin Hartmann mit „Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“ geschrieben. Die wahren Lohas müssen nämlich nicht ihren Konsum ökologisch schön reden, sondern den Konsumverzicht lernen. Im „Das konsumistische Manifest” bringt es Tobias Becker auf den Punkt:

Der Markt regelt die Probleme des Planeten nicht selbst, der Mensch kennt kein Genug. Nicht Konsumanreize sind daher das Gebot der Stunde, sondern Konsumschranken.

Ob man sich als Unternehmen auf einem Markt also nur erfolgreich bewährt, indem man im Sinne einer Wirtschafts-Fatwa jede „Gewinnmöglichkeit“ nutzt, sei nochmals dahingestellt. Vielmehr wird es in Zukunft darum gehen, dass Unternehmen selber Verantwortung für die Konsumenten übernehmen müssen. Wenn der Mensch nämlich „kein Genug“ kennt, dann darf das von nach Bonus gierenden Managern nicht ausgenutzt werden! Aber hierfür werden Kontrollinstanzen benötigt. Und nicht Medien, die wie Cicero die Manager auch noch von jeglicher Schuld freisprechen!

Schon länger verfolge ich die Erklärung von Bern (EvB). Und ich weiß aus persönlicher Erfahrung, dass deren Berichte über Menschen und Umwelt verachtende Geschäftspraktiken die betroffenen Unternehmen durchaus äußerst unter Druck setzen. Ein schlechtes Firmenimage schlägt sich unmittelbar auf den Umsatz nieder.

Daher bittet Chloe alle SpreeSee-Leser sich mit den Public Eye Awards auseinanderzusetzen. Ihr könnt für die übelsten Unternehmen des Jahres abstimmen. Die Schmähpreise werden in drei Kategorien verliehen: „Global“, „Swiss“ und ab diesem Jahr auch dem „Greenwash Award”, um der inflationär wachsenden Zahl an Institutionen Rechnung zu tragen, die mittels sozial-ökologischer Feigenblätter versuchen, das Image unbelehrbarer Konzerne schön zu färben. Protest kann so einfach sein: Stimmt im Internet ab! (Mein Vorschlag fürs Komitee: Führt doch noch einen Schmähpreis für Journalisten ein!)

Die Menschenrechte der Dritten Generation sehen unter anderem das Recht einer intakten Umwelt vor. Fordert es täglich ein und entschuldigt nicht „die da oben“! Es gibt nämlich inzwischen auch genug Beispiele „da oben“ dafür, dass man die Unternehmenskultur ausdrücklich auf Nachhaltigkeit aufbauen kann. Ein herrliches Buch zum Thema hat der Patagonia Firmengründer Yvon Chouinard mit „Let My People Go Surfing“ verfasst. Patagonia’s Mission Statement hat z.B. rein gar nix mit einer Gewinnmaximierung zu tun, sondern setzt die Umwelt auf die Agenda:

Build the best product, cause no unnecessary harm, use business to inspire and implement solutions to the environmental crisis.

Je mehr Unternehmen an diesem Strang ziehen, desto drastischer geraten andere Management Boards unter Zugzwang ! Es braucht leider noch viel mehr Vorbilder, um einen globalen Kulturwandel einzuleiten.

Aber auch Du kannst täglich ein Vorbild sein: Ob bei einem Shampoo oder Deospray, jede Kaufentscheidung trägt zur Umerziehung bei. Der Wandel fängt bei der eigenen Nase an! Es dürfen niemals allein die Preise sein, die unsere Kaufentscheidung diktieren. Vielmehr muss man in der Alleshabenwollen-Generation wieder lernen richtig zu priorisieren. Sollte ich nämlich nicht genug Geld haben, um mir meinen dekadenten Whiskey UND die teure Zahnpasta zu kaufen, dann sollte ich zugunsten der unterbezahlten Mitarbeiterin im Drogeriemarkt auf den Whiskey verzichten und den fairen Preis für meinen Konsum zahlen. Schlecker zu boykottieren ist doch wirklich keine große Kunst!

Chloe hat mal wieder groß ausgeholt und wollte eigentlich nur in einem kurzen Absatz die Public Eye Awards publik machen. Also nochmals: Stimmt ab!

11 Antworten

  1. Hmm… das ist irgendwie kein Live-Blog Teil II. Aber ehrlich gesagt dafür auch noch viel interessanter als der schöne Schein! Du hast total recht. Ich gehe nur noch zu dm, und siehe: Dort ist die Firmenphilosophie vertretbar und die Preise dennoch bezahlbar. Man kann also auch als Drogeriekette sehr wohl seine Mitarbeiter und seine Kunden gut behandeln! Die Eigenmarke-Produkte sind denen von Schlecker in ihrer Durchdachtheit oft Lichtjahre voraus. DAS ist der Grund, warum Schlecker Einbußen verzeichnet und Filialen schließen muss. Aber das kapieren diese engstirnigen alten Familienkonzern-Oberen ja einfach nicht. Bis sie wirklich pleite gehen und tausende Leute ihren Job verlieren. Insofern schaden wir mit unserem Boykott natürlich vor allem den Mitarbeitern. Aber ein menschenfeindliches Unternehmen deshalb zu unterstützen, das kann auch nicht die Lösung sein. Zum Umdenken werden wir Anton Schlecker zwar eben wahrscheinlich auch nie bringen… bleibt also nur zu hoffen, dass in einigen Jahrzehnten solche Firmen verdienterweise aus der Marktlandschaft verschwunden sind und es genügend andere gibt, die wieder Arbeitsplätze zu besseren Bedingungen schaffen. Zugegebenermaßen eine sehr hehre Hoffnung! Aber wer weiß.

    • Hallo Isar !!

      Du als Mutter weißt zu gut, dass wir die „Erde nur von unseren Kindern geborgt haben“. Bei den eigenen Kindern ist es uns auch plötzlich nicht mehr egal, wo und was wir einkaufen. Die Eltern, die früher noch Tiefkühlpizza in sich reingestopft haben, zerschlagen sich plötzlich den Kopf über chlorfreie Windeln und Milch vom Öko-Bauern…

      Und wir sollten nie vergessen, dass unsere Kinde die Arbeitnehmer von morgen sind. Gerade für sie können wir nur auf glücklichere Arbeitsbedingungen und Unternehmen hoffen.

      Und keine Angst, der Après-Golden Globe-Blog kommt schon noch 😉 Nur sind in der Tat manche Themen einfach wichtiger… Lieber über das Sein statt den Schein reflektiren.

      Ade von Übersee

      Chloe

  2. […] Chloe vom See: Der Kunde hat eine moralische Wahl! […]

  3. WOW! Inzwischen hat auch der Spiegel über den Schmähpreis berichtet. Lest mal das Diskussionsforum zum Artikel durch!
    http://forum.spiegel.de/showthread.php?t=11329
    Sehr aufschlussreich. Ein gewisser M. Vetter verteidigt die Organspende von in China zum Tode verurteilten Menschen (der Roche-Fall). Zum Glück wissen ein paar Spiegel-Leser daraufhin die richtige Antwort zu geben….

    „abo“ hierzu: „Und auf Diebstahl steht der Verlusst einer Niere, man hat ja zwei! Könnte man auch bei uns einführen! Genau, wir haben eh zu wenig Organspender! Warum nicht wieder die Todesstrafe? Für Vetter wär das gut. Und wenn mal grad ein Engpass ist, oder ein paar wichtige Leute Organe brauchen, dann machen wir eben ein paar flotte Urteile!!“

    oder „alarico“ hierzu: „na klar, die Todestrafe ist keine schoene Sache, aber zumindest hilft der Forschung.
    So wie etwa der Holocaust. Keine schoene Sache, aber durch die Nazi-Experimente hat der Medizin geholfen.
    So ist es , lieber Vetter , oder ?
    Was kann man dazu sagen? Schade , dass es noch kein Gehirnstransplantation gibt. Das wuerde ich dir nur empfehlen. Es waere kein Problem, einen besseren zu finden.“

  4. […] Infos gibts bei diemuehle. SpreeSee weist darauf hin, dass der Kunde eine moralische Wahl hat, und auch ein paar Links zur Presse […]

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