No „Happy Ending“


Losgelegt mit der Wohnungssuche hatte ich schon auf Hawaii. Chloe durchstöberte die diversen Online-Anzeigen auf „WG gesucht“ und „Studenten WG“. Maya sollte meine Komplizin vor Ort im Hinblick auf Besichtigungen sein. Ich schrieb also immer die Wohnungsbesitzer an und verwies auf „meine beste Freundin in Berlin, die die Wohnung für mich anschauen könnte“. Aber der Mensch liest ja in der Regel nicht gerne. Eine Frau antworte auf meine lieben „Grüße aus Maui“:

Maui? Ist das in Deutschland? Dann schau doch einfach mal vorbei!

Die erste Wohnung hakte Maya in fünf Minuten für mich ab, da zu spelunkig. Eine Woche verging, bevor ich wieder ein passendes Angebot sah. Perfekter Zeitraum, super Preis und geniale mittige Lage. Also legte ich mich in der Selbstdarstellung per Email besonders ins Zeug. Chloe würde ja auch nur jemanden in ihrer Wohnung wohnen lassen, der ihr sympathisch ist. Also buhlte ich um Florians – des Anbieters – Gunst. Schlug ihm gar vor, mal zusammen klettern zu gehen. Aber wirklich nur, um die anderen Bewerber aus dem Ring zu schlagen! Es ging mir nur um die Wohnung, niemals um den Mann. Jedenfalls schaute sich Maya dann in meinem Auftrag die Wohnung an. Davor versprach mir Florian in seiner Mail noch, dass ich die Wohnung so gut wie 90 Prozent sicher hätte…

Ich rief Maya nach der Besichtigung sofort an. Sie war total von der Wohnung begeistert. Florian hätte ihr gar einen Kaffee gemacht und sie hätten sich eine halbe Stunde lang super gut unterhalten. Maya maynte, dass ich die Wohnung super sicher bekommen würde, so wie sie sich für mich ins Zeug gelegt habe. Sie erwähnte sogar unseren Regisseur-Freund, um Florian zu zeigen, dass wir cool sind und dass wir coole Leute in Berlin kennen. Während des Telefonats kam noch eine Mail von Florian rein, er muss noch eine Sache klären und dann bekomme ich die Wohnung.

Soooo nah dran war ich also schon. Dann kam die folgende, völlig unerwartete Nachricht rein:

Liebe Chloe,

mit einem weinenden Auge muss ich Dir leider mitteilen, dass nun doch ein Freund von mir die Wohnung nimmt. Hätte ich am Ende wirklich kaum mehr gedacht. Aber er hat diesen Wunsch leider schon früher geäußert und Du wirst hoffentlich verstehen: „friends go first“.

Ansonsten hätte ich Dich wirklich gerne einziehen lassen und meine Wohnung bei Dir in sicheren Händen gewusst. Aber falls Du jetzt nicht sehr enttäuscht bist, wäre es schön, wenn wir uns trotzdem in Berlin mal treffen würden (auf ein Getränk, zur Berlinale und/oder zwecks Kletterplanung, wie Du meintest). Dann könnte ich obiges Motto vielleicht bald auch auf Dich anwenden.

Hellooooo?!? Hätte der Kerl das nicht vorher bei seinem Freund nachhaken können, bevor ich Maya vorbeischickte?? Und dann auch noch die Nummer mit sich „trotzdem in Berlin mal treffen“! Ich will kein Date, ich will ne Wohnung. Jedenfalls muss ich wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Vor fünf Tagen schrieb mich Florian wieder an. Ob ich denn inzwischen in Berlin sei und Kaffee und so…

Die dritte Wohnung schaute sich Maya in Kreuzberg – schon wieder wurde ihr Kaffee gekocht – für mich an, ohne dass ich davon wusste. Des Nachts vor meinem Abflug gen Deutschland kam um 3.30 Uhr eine super dringliche SMS rein: „Chloe! Du musst Dich sofort entscheiden, ob Du die Wohnung willst.“ Ich rief also schnell an, um mich von ihr abholen zu lassen. Irgendeine Babsi hatte sich bei ihr spontan gemeldet. Sie hätten sich super gut unterhalten. Babsi war von mir und meinem Lebensstil total begeistert. Maya scheint in der Tat eine gute Pressesprecherin zu sein… Leider musste ich die Wohnung aber per Email absagen, da diese ohne Internet vermietet wurde. Babsi will mich dennoch kennen lernen. Maya maynt, dass Babsi evt. vom anderen „Spreeufer“ sein könnte. Also wieder ein Date und keine vier Wände…

Jetzt, da ich seit Dienstag in Berlin bin, habe ich das Thema Wohnungsbesichtigung also selber in die Hand genommen. Da das ganze immer schleppender verlief, entschloss ich mich, selber ein Gesuch aufzugeben. Mit Telefonnummer… Schon tags drauf bekam ich den ersten Anruf. Und von nun an wird es nur noch absurd…

Ein „Dan“ war in der Telefonleitung. Ob ich mich mit ihm auf Englisch unterhalten könnte. Kein Problem für Chloe (dennoch wird das Folgende auf Deutsch transkribiert).

Freitag, der 19.02.2010

11 Uhr – In Mayas Wohnung. Maya ist unter der Dusche. Chloes iPhone scheppert. Chloe kennt die Nummer nicht und geht verwundert ran.

Dan: Hi, mein Name ist Dan. Ich habe Deine Anzeige gesehen. Ich vermiete im Prenzlauer Berg ein Zimmer in einer 4er WG. Wir sind bereits zu Dritt und suchen noch die vierte Person. Meine Mitbewohnerin Leonore ist Halbfranzösin, ich bin Halbamerikaner und Halbisraeli. Leonore ist 24 Jahre alt, ich bin 30. Wie alt bist Du denn?

Chloe: 31 Jahre.

Dan: Waaas? Sooooo alt? Naja, wir sind eine ganz internationale offene WG. Nun ist es so, dass die Wohnung erst zum 1. März fertig renoviert ist. Aber ich wohne momentan in Charlottenburg und da ich nur zwei Tage die Woche in Berlin bin, könntest Du bis dahin in meiner Wohnung wohnen, bis die WG bezugsbereit ist. Da ich morgen früh um 8 Uhr beruflich wegfliegen muss, sollten wir uns am besten heute noch treffen. So können wir uns kennen lernen und alles weitere besprechen.

Chloe: Ich bin flexibel. Bis auf heute Abend, da bin ich auf Konzert.

Dan: Ja, dann sollten wir uns am besten vor dem Konzert treffen. Ich muss das kurz beruflich klären, wann ich heute Mittag noch freinehmen kann. Darf ich Dich in fünf Minuten nochmals anrufen?

Chloe: Klar.

Maya kommt aus der Dusche raus.

Maya: Wer war das?

Chloe: Die erste Reaktion auf meine Wohnungsanzeige.

Maya: Cool, dann kommt ja was voran.

Chloe: Ja, aber irgendwie klingt das alles sehr komisch.

Chloe checkt ihre Mails: Oh, es haben sich auch schon vier andere Interessenten gemeldet. Aber alles Männer. Nee, also mit nem Mann will ich nicht alleine in ner WG wohnen.

Maya: Ach, hör mal auf in solchen Kategorien zu denken.

Chloe: Egal, ich könnte das nicht. Da steht ja immer dieser Mann-Frau-Diskurs im Raum. Stell Dir mal vor ich schlepp nen Typ ab und morgens sitzt der dann mit am Frühstückstisch. Nee, also ne Mann-Frau-WG kommt rein gar nicht in Frage. Außer der hätte vielleicht ne Freundin.

Maya: Nee, dass geht dann von der Freundin aus nicht. Wenn ich mir vorstelle, dass Charly eine weibliche Mitbewohnerin hätte, da hätte ich wahrscheinlich auch ein Problem damit!

Chloe: Aha! Und ich bin also diejenige mit den Vorurteilen…

Das Telefon klingelt wieder.

Dan: Hi Chloe. Also wir können uns um 16 Uhr treffen oder nach Deinem Konzert. Du kannst einfach nach dem Konzert auf ein Glas Wein vorbeischauen.

Chloe ironisch: Ja, klar. Aber nur wenn Du zwei Frauen auf einmal abwickeln kannst! Wenn du es mit zwei Frauen auf einmal aufnehmen kannst!

Dan: Sieht Deine Freundin denn gut aus?

Maya im Hintergrund: Chloe !

Dan: Okay, Okay. War nur ein Scherz. Dann lass uns um 16 Uhr treffen. Ich wohne in der Ansbacher Straße 61. Klingel einfach bei „Borello“.

Chloe: Borello? Das klingt aber weder Israelisch noch Amerikanisch.

Dan: Ja, das ist die Wohnung von einem Geschäftsfreund von mir, in der ich selber bis zur Renovierung zur Zwischenmiete wohne.

Chloe: Bis später.

Maya: Und?

Chloe: Der klingt total komisch. Und dieser Akzent im Englischen. Das kommt mir alles sehr sonderbar vor. Aber warte kurz. Ich speichere jetzt mal die Nummer zur Sicherheit unter „Psycho“ ab.

Maya: Du kannst den doch nicht unter Psycho abspeichern!

Chloe: Glaubst Du etwa der wird das später sehen? Mir hilft das, um mit den ganzen Namen nicht durcheinander zu kommen.

Maya: Ja, und warum trefft Ihr Euch jetzt nicht in der richtigen Wohnung?

Chloe: Die wird noch renoviert.

Maya: Und was soll da Zimmer nun kosten?

Chloe: Das hat der nicht gesagt. Aber da ich ja eindeutig mein Maximum in der Anzeige angegeben habe, müsste das ja schon in Ordnung sein. Aber auch komisch, dass er kaum was zu meiner Person gefragt hat. Und dann ist es absolut frech, dass er bei meinem Alter so unverschämt mit „sooo alt“ reagiert hat. Ich bin ja kein Native Speaker, aber sein Englisch klang auch sehr schräg.

Die Mädels machen sich für den Lebensmitteleinkauf fertig. Im Supermarkt klingelt wieder das Handy.

Dan: Hi Chloe. Ein Termin ist bei mir geplatzt. Du kannst also auch gerne um 15 Uhr vorbeischauen, wenn Du willst.

Chloe: Ja klar, das kommt mir sehr gut gelegen, da ich dann mehr Zeit vorm Konzert habe.

Wieder zurück in Mayas Wohnung gibt Chloe Maya wie immer zur Sicherheit die Adresse durch, bevor sie gen U-Bahn abdüst. Und an der Türschwelle bringt sie auch ihren blöden Standardspruch:

Chloe: „Falls ich nicht mehr zurückkommen sollte, kannst Du der Polizei ja dann sagen, wo ich stecke.“

Ab sofort geht der Film ab! Chloe landet in der Ansbacher Straße 61 und findet tatsächlich eine Klingel mit dem Namen „Borello“. Ich klingel und Dan erklärt mir über die Sprechanlage routiniert, wie ich zur Wohnung finde. Rechter Seitenflügel…

Im zweiten Stock angekommen öffnet mir ein kleiner Mann im Jacket – die goldenen Knöpfe sind mir direkt unsympathisch – die Tür. Das ist wohl Dan. Da er noch nebenher am Telefonieren ist, bittet er mich darum, schon mal reinzulaufen. Flur, Küche, Schlafzimmer, Wohnzimmer mit Balkon im schönsten Altbau. Überall hängen Gemälde. Die Wohnung dürfte um die 60 qm haben. Ich setze mich aufs Designersofa und warte auf Dan. Er hat austelefoniert und sitzt mir nun gegenüber.

Dan: Also zur Wohnung. Ich habe die Wohnung im Prenzlauer Berg vor einem halben Jahr gekauft und will nun daraus eine WG machen. Leonore ist schon mit im Boot und nun suchen wir Nummer Drei. Wenn wir dann zu Dritt sind entscheiden wir natürlich gemeinsam über Nummer vier. Leonore hat schon Deine Telefonnummer und wird sich morgen bei Dir melden, um Dir die Wohnung zu zeigen. Ich sitze ab 8 Uhr ja bereits im Flieger nach Paris.

Chloe: Und ab wann könnte ich dann einziehen? Also ich suche ja zum 1. März bzw. so schnell wie möglich.

Dan: Wir haben da noch ein kleines Problem beim Renovieren gehabt. Die Wohnung ist 250 qm groß und auf einer ganzen Etage verteilt. Wir mussten aus zwei Wohnungen eine machen. Mir war es ganz wichtig, dass das Berliner Zimmer das Zentrum der neuen Wohnung darstellt. Außerdem hat sich herausgestellt, dass der Parkettboden einzeln ausgehoben und abgeschliffen werden musste.

Chloe: Das heißt?

Dan: Du könntest erst zum 15. März einziehen.

Chloe: So war das aber nicht ausgemacht.

Dan: Aber ich biete Dir an, da ich selber nur zwei Tage die Woche in Berlin bin, dass Du bis dahin hier in dieser Wohnung bleiben kannst. Wenn Du willst kannst Du sofort morgen früh einziehen, damit Du nicht länger bei Deiner Freundin bleiben musst. Mir ist es einfach nur wichtig, dass ich eine sympathische Person für meine WG finde. Ich arbeite so viel, dass ich in meiner Freizeit coole Leute um mich herum haben möchte. Ich bin ein Einzelkind und brauche einfach viele soziale Kontakte. Meine Mutter lebt in Italien, mein Vater ist in Amerika Senator. Ich stehe auch unter diplomatischer Immunität. Ich habe zwar kein Auto mit Diplomatenkennzeichen, aber sonst greift alles für mich.

Chloe denkt sich: Hier wird doch gerade einiges vermischt!

Dan parliert weiter: Du musst wissen, dass ich sehr erfolgreich bin im Job. Aber abends gibt es einen privaten Dan. Der hat dann keinen Anzug an und steht völlig verrückt gekleidet in einem Berliner Club. Ich bin auch furchtbar spontan. So spontan, dass ich abends einfach 80 Leute zu einer Party in die WG einlade. Das darf Dich natürlich nicht stören. Ich nehme aber auch Rücksicht auf meine Mitbewohner. Wenn Du z.B. eine Klausur hast oder Deine Eltern sterben, dann feiere ich nicht. Verlässt Dich aber ein Mann, dann kenn ich kein Erbarmen. Dann wird erst recht gefeiert. Gestern Abend hatte ich auch eine große Party hier in der Wohnung…

Chloe angewidert von dieser falschen Großzügigkeit: Keine Angst, ich schreibe keine Klausuren mehr.

Dan: Also es kann auch sein, dass ich so wild drauf bin und Euch alle spontan zum Wochenende nach Paris und London einlade. Bist Du spontan?

Chloe zögerlich: Ja.

Dan: Was ist denn mit Dir los. Du wirkst so verkrampft und unentspannt. Also am Telefon fand ich Dich wirklich sehr viel sympathischer. Da hat es gleich gefunkt! Naja, bis auf die Geschichte, dass Du plötzlich mit Deiner Freundin auftauchen wolltest. Das hat mir gar nicht gefallen. Hier geht es um Vertrauen, und wer mir nicht vertraut, der verletzt mich. Erst gestern hatte ich eine Anwärterin am Telefon, die unbedingt ihren Freund zur Besichtigung mitnehmen wollte. Also da habe ich sie direkt ausgeladen. Wer mir nicht mit unabdingbarem Vertrauen entgegentritt, mit dem möchte ich auch keinesfalls in einer WG wohnen.

Chloe denkt sich, dass sie wirklich etwas unlocker auf diese Klischees reagiert. Zeitgleich überlegt sie, ob sie nicht einfach gehen sollte. Aber irgendwie ist sie von dieser Situation auch fasziniert. Vielleicht hat dieser arme reiche Junge wirklich keine andere Chance, auf normalem Wege an Menschen ranzukommen. Wahrscheinlich interessieren sich alle wirklich nur für sein Geld. Meine Intuition sagt mir jedoch, dass ich einen Hochstapler vor mir sitzen habe. Soll ich mich tiefer reinreiten? Diese „Vetrauens-Nummer“ ist auch stark verdächtig….

Chloe: Entschuldige, ich habe etwas Durst, da ich von der Bahn über diverse Gletscher hierher huschen musste.

Dan springt völlig erleichtert auf: Aber natürlich! Es tut mir Leid nicht von mir aus darauf gekommen zu sein. Was magst Du denn? Darf ich Dir ein Glas Wein anbieten.

Chloe entsetzt: Es ist 15 Uhr! Und ein Glas Wasser stillt den Durst doch am besten.

Dan: Klar, klar. Du bekommst alles was Du willst. Ich hole gleich ein Glas Wasser. Aber einen Prosecco kann ich doch noch dazu anbieten.

Chloe: Dafür ist es nie zu früh.

Dan holt aus einem weißen Schrank Weingläser heraus und entschuldigt sich dafür, dass er keine Sektgläser im Haus hat. Er läuft in die Küche. Ich hinterher.

Dan: Gefällt Dir die Wohnung?

Chloe ehrlich: Ja. Vor allem die Kunst.

Dan: Ach, ich kann nichts dafür. Das kommt alles von meiner Mutter. Siehst Du das Bild an der Wand? Das bin ich wie ich kiffe. Meine Schwester hat das gemalt.

Chloe: Ich dachte, Du seist Einzelkind?

Dan: Naja, ich habe eine Adoptivschwester.

Dan holt eine Proseccoflasche aus dem Kühlschrank. Ich kann nicht genau hinschauen, vermute jedoch, dass das eine Discounter-Eigenmarke ist. Im Hintergrund stehen ca. zehn leere angebrochen entweder leer oder angebrochen Flaschen – muss wohl von der gestrigen Party sein. Die Küche ist ansonsten sehr leer. Nur eine Packung Cocktailtomaten fällt mir auf.

Dan versucht die Proseccoflasche zu öffnen und zerbricht dabei den Flaschenhals. Er versucht den Vorfall cool zu überspielen.

Dan: Also wäre ich jetzt in Amerika, könnte ich die Firma verklagen. Aber hier in Europa kann man sich die Hand komplett aufschneiden und sieht nicht einen einzigen Cent! Unmöglich.

Chloe: Ich finde das gut so. Und wie gesagt, ich gebe mich auch mit einem Glas Wasser zufrieden.

Dan: Nein, nein! Ich öffne einfach eine neue Flasche.

Chloe: Wenn die auch zerbricht, dann ist das wohl ein Zeichen und ich gehe lieber.

Dan völlig nervös: Ha, ha! Ach, dann mach ich einfach noch eine auf! Ich habe noch genügend Proseccoflaschen im Kühlschrank.

Die zweite Flasche geht auf. Wir laufen nun zu zweit wieder ins Wohnzimmer.

Auf dem Weg dahin stoße ich mit ihm an und proste: „La Chaim!“ Dan antwortet etwas auf Hebräisch (naja, da ich kein hebräisch kann, könnte es auch sonst eine Sprache gewesen sein). Ich sage nur trocken, dass das das einzige ist, was ich auf Hebräisch kann. Er fragt mich, ob ich schon mal in Israel war. Ich bejahe.

Chloe nach dem ersten Schluck Prosecco: Was arbeitest Du jetzt nochmals?

Dan: Mir gehören 60 Häuser wie dieses hier in dem wir gerade sitzen. Aber das ist nur das Geschäft meiner Eltern. Meine Mutter wurde in Italien als jüdischer Flüchtling geboren. Nach dem zweiten Weltkrieg sind sie dann zurück nach Berlin und haben sich hier all diese Immobilien aufgebaut. Meine eigene Firma sitzt in Paris. Ich habe neunzig Mitarbeiter weltweit, die für meine Event- und Kommunikationsagentur arbeiten. Ich wollte mich von meinen Eltern abgrenzen, mein eigenes Ding machen.

Chloe: Verstehst Du Dich nicht mit Deinen Eltern?

Dan: Das ist eine schwere Beziehung.

Dan versucht vom Thema abzulenken: Wenn Du schon mal in Israel warst, warst Du dann auch am Toten Meer?

Chloe: Ja.

Dan: Ich sehe bei Dir eine unglaublich angeschwollene Halsader. Das ist ein Signal dafür, dass Du irgendwo in Deinem Körper Schmerzen hast. Hast Du am Toten Meer auch eine der berühmten Massagen genossen?

Chloe: Nein.

Dan entrüstet: Waaas?? Aber deshalb gehen da doch alle hin! Weißt Du was ein Kibbutz ist?

Chloe: Ja.

Dan: Als 9-jähriger Junge bin ich da immer in den Ferien hin und habe das Massieren gelernt. Fünf Jahre lang. Das war vor allem eine Flucht von der Enge zu Hause. Wir Jungs hatten so viel Spaß. Ums Arbeiten ging es selten. Dennoch habe ich dort einiges gelernt. Glaubst Du mir, dass ich Dir sagen kann, was Dir weh tut?

Chloe genervt: Nein!

Dan: Dir tut doch etwas weh?

Chloe denkt nach: Ja, aber da kommst Du nie drauf!

Dan: Dann lass Dich doch überzeugen. Komm! Sei offen für Neues. Setz Dich hier hin. Ich brauche nur kurz Deine Schulter zu berühren und kann Dir ganz genau sagen, von woher Dein Schmerz ausgeht.

Chloe kann es einfach nicht fassen, dass sie gerade Teil dieses billigen Stücks ist. Lässt es aber dennoch geschehen, um zu sehen, wie sich der Hochstapler aus dieser Situation nun rettet. Denn sie ist sich sicher, dass er nie auf ihren Schmerz kommt.

Dan: Setz Dich auf diesen Stuhl und entspann Dich.

Chloe, berühmt dafür, dass sie Massagen hasst und nicht mal beim Friseur entspannen kann, bleibt absichtlich angespannt und auf Obacht. Kurz kommen ihr auch Zweifel sowie ein unheimliches Gefühl auf: Spinn ich jetzt total? Ich bin diesem Typen ja völlig ausgeliefert. Mit einem plötzlichen starken Druck auf die arteria carotis communis kann er mich locker ohnmächtig schlagen. Ein panischer Gedanke schießt mir kurz hoch: Meine Organe! Wahrscheinlich bin ich hier Opfer eines mafiösen Transplantationsrings geworden!!

Aber Dan stellt sich so dämlich an, dass ich mich zusammenreißen muss, um nicht vor Lachen loszubrüllen. Er drückt seine Handfläche auf mein Schulterblatt und lässt diese energetisch vibrieren. Erschöpft schüttelt er die Hand dann pathetisch vor meiner Stirn aus. Ich kann alles sehen, da er mich bewusst vor einen Spiegel platzierte, um ihn beobachten zu können. Nach nur einer Minute ist er zur Diagnose bereit.

Dan: Hast Du Probleme mit dem Mage…

Chloe unterbricht: Nein, ich habe keine Magenschmerzen!

Dan: Das hab ich doch gar nicht gesagt! Ich meinte, hast Du Probleme in den Beinen?

Chloe: Meine Beine sind top fit!

Dan: Aber sicherlich hast Du Rückenschmerzen. Und ich konnte spüren, dass diese von Deinen Beinen ausgehen. Du siehst lediglich die Zusammenhänge noch nicht.

Chloe: Ich würde mal sagen, ich hatte Recht! Du konntest nicht erraten, wo es mir weh tut.

Dan: Ja, wo tut es Dir denn weh!

Chloe besserwisserisch: Die Nase!

Dan: Egal wie. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Du dringend eine Massage brauchst. Ich biete Dir eine an.

Chloe: Wo?

Dan: Ja, gleich hier?

Chloe: Wo? Etwa auf dem Teppich oder was?

Dan: Ja.

Chloe: Nee, Du. Lass mal lieber.

Dan: Ich biete einer Frau immer nur einmal was an. Überleg Dir das gut. Du solltest wirklich mal Deine Grenzen erweitern und etwas machen, was Du sonst nie machen würdest.

Chloe: Also ich lasse mich jetzt nicht als borniert darstellen. Stell Du Dir doch mal vor, Deine Adoptivschwester..

Dan: Sie ist ja eigentlich meine Cousine…

Chloe: Was auch immer. Stell Dir doch einfach mal vor, Deine Schwester würde sich in die Wohnung eines Fremden begeben und sich von ihm sofort massieren lassen. Wie fändest Du das denn?

Dan: Wenn das so ein Typ wie ich wäre, dann fänd ich das total in Ordnung und würde ihr viel Spaß dabei wünschen.

Chloe nun wütend: Also, dafür, dass ich hier eigentlich wegen eines WG-Zimmers aufgetaucht bin, nimmt das Ganze einen ganz komischen Verlauf.

Dan: Ich kann es halt einfach nur nicht fassen, dass Du in Israel warst und nicht eine der berühmten Massagen hattest. Ich hätte das gerne nachgeholt. Und nach der Massage hätte ich Dir auch etwas über Dich verraten.

Chloe: Wenn Du Israeli bist, warst Du dann auch in der Armee?

Dan: Man kann auch vom Dienst befreit werden. Z.B. wenn man zu intelligent ist! Ich war zu intelligent. Ich wusste schon früh, was ich wollte. Ich war mit 15 Jahren schon so weit, dass ich studieren gehen konnte. Sonst wäre ich ja auch heute mit Dreißig nicht da, wo ich bin. Aber natürlich muss ich einmal im Jahr für einen Monat nach Israel um meinen Dienst an der Waffe anzutreten. Das ist die Bedingung. Weißt Du das? Ja, so ist das. Ich habe dann in London studiert. Und da ich nicht wollte, dass meine Eltern mich finanzieren, habe ich bei Burger King Burger gebraten. Ich wollte meinen eigenen Weg gehen. Mit 17 Jahren habe ich dann einen Mann getroffen, der mich so logisch und intelligent fand, dass er mich unbedingt für sein Unternehmen einstellen wollte. Aber ich war glücklich mit meinem Leben und lehnte ab. Wir verabschiedeten uns an der Kreuzung. Plötzlich rannte der Mann nochmals zu mir zurück und nannte mir lediglich eine Summer: „300.000“. Da konnte ich dann nicht Nein sagen. Ich verdiente 300 Euro bei Burger King und nun sollte ich 300.000 bekommen. Aber mir ging es nie ums Geld. Ob man eine Millionen oder zehn Millionen auf dem Konto hat, das macht keinen Unterschied mehr.

Chloe: Das glaube ich.

Dan: Ich hatte einfach die Schnauze voll, immer nur als Nachkomme der berühmten jüdischen Herzl-Familie gesehen zu werden. Ich wollte mein Ding drehen. Mit meiner Logik erfolgreich sein.

Chloe kann es nicht fassen, wie schäbig der Kerl die Judennummer hier abzieht.

Chloe misstrauisch: Du siehst übrigens gar nicht jüdisch aus.

Dan: Aber ich habe Dir doch erzählt, dass meine Familie ganz gemixt ist. Ich bin ein Weltenbürger.

Chloe weiter im Rotkäppchen-Modus: Deine Augen sehen so komisch aus.

Dan: Ich arbeite doch so viel!

Chloe: Und wenn Du so viel arbeitest, wie relaxet Du dann?

Dan verstutzt: Äääh. Also so eine Frage wurde mir ja noch nie gestellt. Wie ich entspanne? Hm… Vor einem halben Jahr traf ich morgens in Neukölln, da kam ich gerade vom Club, Du kannst Dir gar nicht vorstellen wie ich da aussah, Du hättest mich nie erkannt, da traf ich so einen Jungen. Wir unterhielten uns. Er war erst 22 Jahre alt und erzählte mir von seiner Geschäftsidee. Er wusste ja nicht, wem er gegenüberstand. Ich mochte den Jungen. Sein Unternehmergeist gefiel mir. Also sagte ich ihm, dass er von mir 1 Millionen Euro zur Finanzierung seiner Idee bekommt. Die einzige Bedingung war, dass mir 60 Prozent der Firma gehören. Aber beim Gewinn sollte er dennoch 50 Prozent bekommen. Alles kein Risiko, auch wenn er die Firma gegen die Wand fahren sollte. Drei Monate später traf ich ihn wieder. Er hatte schon 200.000 Euro Gewinn gemacht und VW als Kunden für die nächsten zehn Jahre an Land gefischt.

Chloe denkt sich: Haha! Wo gibt es denn noch so was. Keine Firma verpflichtet sich heutzutage so lange für irgendwas. Schade, Dans Lügen werden immer schlechter. So langsam vergeht mir die Lust am Zuhören.

Dan: Und Du musst Dir vorstellen, dass dieser 22-jährige Junge sonst immer in zerrissenen Klamotten herumläuft. Ich fragte dann seine Freundin, ob er in seinem Standardoutfit auch so vorm VW-Vorstand präsentiert habe. Aber nein, dafür hatte er sich tatsächlich einen Anzug gekauft. Ha ha! Weißt Du, ich bin das Produkt meiner Eltern. Aber dieser Junge ist aufgrund seines Talents erfolgreich. Das entspannt mich. Das fördere ich gerne. Vor einem halben Jahr hat der Kerl noch Hartz IV bekommen und nun darf er mit den ganz Großen mitspielen. Ich liebe es, Chancen zu ermöglichen. Aber wenn ich zwei Blumen in zwei Vasen habe und eine nicht gedeiht, dann werde ich einen Teufel dafür tun, die schlechte aufzupäppeln. Andere würden Dünger kaufen, das Wasser wechseln etc. Ich schmeiße die kaputte weg und erfreue mich an der schönen.

Chloe: Wer sind so Deine besten Freunde?

Dan: Andrea ist mein bester Freund. Wir haben uns damals im Studium in Italien kennen gelernt. Auch als ich in die Schweiz zum Studieren bin, haben wir nie den Kontakt verloren. Mit Andrea teile ich meine Liebe zur Kunst. Und wenn wir zusammen sind, dann ist es fast wie Telepathie. Obwohl ich so viel arbeite, schaffen wir es, uns mindestens zwei Mal im Monat zu treffen. Manche denken, wir seien schwul, so herzlich gehen wir miteinander um.

Chloe: Auf welche Kunst stehst Du denn?

Dan: Die italienischen Klassiker.

Chloe: Renaissance?

Dan: Ja, genau.

Chloe: Glaubst Du an Gott?

Dan: Nur wenn ich Probleme habe, haha!

Chloe: Aber ist das nicht ein Konflikt mit Deinen Eltern? Du hattest doch als ordentlicher Jude sicherlich eine Bar Mitzwa.

Dan: Mein Eltern haben sich damit abfinden müssen. Glaubst Du an Gott?

Chloe blufft: Ich bin moslemisch.

Dans Mundwinkel verziehen sich – wahrscheinlich hat er jetzt Angst vor meinem großen Bruder: Äääh… also so richtig?

Chloe: Nee, nee. Ich glaube nicht an Gott. Glaubst Du an die Liebe?

Dan: Also ich hatte eine sechsjährige Beziehung. Als die zu Ende war musste ich erstmal weg. Ich bin für zwei Monate nach Afghanistan und Iran.

Chloe: Mit einem israelischen Pass???

Dan: Ich habe doch noch die amerikanische Staatsangehörigkeit. Und das war alles gar kein Problem. Du kannst Dir nicht vorstellen wie alltäglich dort der Taliban ist. Ich habe mich einfach so mit diesen Männern unterhalten. Das sind so Leute wie Du und ich.

Chloe: Ja, ja. Auch das sind nur Menschen. Weißt Du, was ich komisch finde?

Dan: Sag.

Chloe: Wir sitzen hier schon eine ganze Weile und Du erzählst non stop nur von Dir. Bisher ging es nicht ein einziges Mal um mich. Dabei solltest Du doch daran interessiert sein, was das für eine Person ist, die Du da in Deine Wohnung reinlässt. Ganz im Gegenteil, ich komme mir vor, als würdest Du auf der Bewerbercouch sitzen, da ich hier diejenige bin, die andauernd Fragen stellt.

Dan etwas genervt: Aber genau das ist ja meine Art, Dich kennen zu lernen. Mir geht es um den Gesprächsverlauf und ob ich mit Dir ein gutes Gefühl dabei entwickle. Indem Du z.B. Fragen zu meinem Kunststil stellst, kann ich einschätzen, dass Du an Kunst interessiert bist und Dich mit Kunst auskennst. Aber na gut. Dann stelle ich jetzt auch eine Frage. Wie relaxt Du Dich in Deiner Freizeit, wenn Du schon keine Massagen magst?

Chloe: Ich bin gerne in der Natur…

Dan: In der Natur? Meine Eltern haben in Österreich eine Skihütte. Wir gehen…

Chloe unterbricht: Siehst Du, es geht schon wieder nur um Dich. Du reißt das Gespräch erneut an Dich heran. Sag mir doch mal lieber, warum Du gerade mich als potentielle Mitbewohnerin ausgesucht hast.

Dan aufgedreht: Oh ja. Das kann ich Dir sofort sagen. Warte mal.

Dan öffnet wohl meine Anzeige auf seinem iPhone: Ach ja, siehst Du, Du hast in Deiner Anzeige geschrieben, dass Du in „Berlin gestrandet“ bist. Ich liebe das Wort „stranden“. Es erinnert mich an Urlaub und zeigt mir, dass Du vor allem hier bist, um Spaß zu haben. Also ich finde, Du würdest perfekt in unsere WG passen, gerade weil Du ganz anders bist als wir. Mit Deiner dominanten Art…

Chloe ironisch: Wow, wow, wow. Das ist aber ganz schön charmant!

Dan: Du weißt schon, wie ich das meine. Mit Deiner unglaublichen Stärke, die Du ausstrahlst könntest Du die ganze WG erfüllen und vorantreiben. Wenn wir uns gehen lassen, bist Du diejenige, die uns am Zügel packt und zu neuen Höchstleistungen antreibst. Ich mag Dich. Du bist mir sympathisch.

Chloe: Warum?

Dan: Ach, Du machst mich ganz verrückt. Du fragst immer nur. Und egal was ich antworte, Du schießt mit einem „Warum“ gleich wieder nach. Ich meine es ehrlich, ich mag Dich. Du faszinierst mich. Da es mir als Dan Herzl so schwer fällt, Menschen kennen zu lernen, die mich offen kritisieren, mag ich Dir nun einen Pakt anbieten. Ich glaube nämlich, dass wir beide sehr viel von einander lernen können, weil wir in unserer Persönlichkeit direkt konträr von einander stehen.

Chloe findet es wieder spannend! Vielleicht ist das wirklich nur ein verschrobener reicher armer Jude, der auf normalem Wege an keine Frau herankommt oder auch keine Zeit dafür hat. Und nun sitze ich als WG-Anwärterin auf der Couch und entfache in seinem geschundenen Managerherz Gefühle. Der gute alte Rousseau dreht sich derweil im Grab um und ermahnt mich: „Chloe! Du hast zu viele Romane gelesen. Der Kerl spielt doch seit Sekunde Eins nur mit den Mädchenträumen! Du wirst hier nicht den Gegenbeweis antreten können.“

Dan: Lass uns eine Woche lang eine Beziehung führen! Mit der Bedingung, dass jeder gleich direkt und offen sagt, was dem einem nicht an dem anderen gefällt. Diese Beziehung soll knallhart offen sein, ohne Rücksicht auf Verluste.

Chloe: Ja!

Dan: Wie, ja?

Chloe: Ja. Lass uns das machen. Ich fange gleich an. Als ich durch diese Türschwelle schritt warst Du mir direkt unsympathisch.

Dan entsetzt: Warum?

Chloe: Dein Jacket.

Dan: Was? Was gefällt Dir nicht an meinem Jacket?

Chloe: Die Goldknöpfe.

Dan springt euphorisch auf: Wenn Dir mein Jacket nicht gefällt, dann ändere ich das sofort.

Dan verzieht sich ins Schlafzimmer und taucht in einem neuen Jacket auf und fügt gefügig hinzu. Magst Du das? Alles was Du willst.

Dan schlägt den Kragen hoch: Stehst Du darauf?

Chloe: Ich hasse das!

Dan: Oooh, Du weißt was Du willst.

Chloe: Und nun Du!

Dan: Was?

Chloe: Sag mir, was Du nicht an mir magst. Kritisiere mich.

Dan: Also es gibt eine Sache, die mir sofort negativ aufgefallen ist. Wenn ich Dir was erzähle, dann hast Du immer so ein schreckliches Grinsen im Gesicht, das mir zwar zeigt, dass Du zuhörst, aber auch immer alles besser zu wissen scheinst.

Chloe anerkennend: Das stimmt. Gute Beobachtung.

Dan: Und Du bist schrecklich angespannt. Du brauchst wirklich eine Massage.

Chloe: Nee, das sehe ich nicht so.

Dan: Also, Du gefällst mir und die Idee gefällt mir. Musst Du das Wochenende in Berlin sein?

Chloe spontan: Nein.

Dan etwas unbeholfen: Dann gib mir Deinen Ausweis.

Chloe reicht ihren Reisepass.

Dan greift nach seinem iPhone und tut so, als würde er seine Sekretärin anrufen. Die Nummer erinnert mich nun total an Indien. Ich bin wieder gelangweilt. Mir ist so was von klar, dass auf der anderen Leitung niemand ist.

Dan am Telefon: Hallo Frau Blabla. Könne Sie mir für morgen noch ein zweites Flugticket nach Paris buchen? Auf den Namen C-H-L-O-E… ja, falls es mit meinem Flieger um 8 Uhr nicht geht, dann versuchen sie alles, damit Frau vom See vor 12 Uhr bei mir in Paris ankommt! Danke.

Dan grinst breit: Ich buche vorerst kein Rückflugticket. Du bleibst einfach die ganze Woche bei mir in Paris. Ich bin zwar tagsüber in Meetings, aber ich versuche mir freizunehmen. Kannst Du überhaupt so lange weg sein?

Chloe enthusiastisch: Ja, klar!

Dan: Hm, aber vielleicht können wir besser eine andere Woche nehmen, in der ich mehr Zeit habe. Dann könnten wir mehr machen. Was hältst Du von Irland?

Chloe: Super, da wollte ich schon immer mal hin.

Dan: Du liebst ja die Natur. Wir können dann wandern gehen.

Chloe herausfordernd: Aaah, ich habe meine Ausrüstung nicht hier in Berlin.

Dan, der Gönner: Mädchen, darüber musst Du Dir doch nicht den Kopf zerbrechen. Das soll doch gar kein Problem sein! Du bist natürlich auf alles eingeladen, inklusive Ausrüstung.

Dan blättert in seinem Kalender: Was ist mit dem Wochenende 6. März?

Chloe: Das geht nicht, da bin ich in Frankfurt.

Dan: Kannst Du das nicht absagen? Dann könnte ich nämlich noch was ganz Verrücktes machen. Ich fliege den Vogel! Früher hatte ich einen eigenen Privatjet, aber das war so viel Papierkram. Nun kann ich aber, wenn ich mich rechtzeitig melde, jederzeit eine Maschine mieten. Hättest Du denn Angst?

Chloe denkt: Nein. Also jetzt hat er den Vogel endgültig abgeschossen.

Chloe lenkt daher wieder ab: Wie hast Du eigentlich damals Deine Freundin kennen gelernt?

Dan: Meine Freundin habe ich damals in London am Flughafen kennen gelernt. Unser Flieger nach New York hatte Verspätung. Sie war auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch. Ich stand hinter ihr in der Reihe und habe sie gefragt, ob sie mit mir einen Kaffee trinken will. Und Du weiß ja, ich mache einer Frau niemals zweimal dasselbe Angebot! Sie lehnte ab. Kam aber später doch wieder auf mich zu und dann blieb sie meinetwegen noch eine Nacht in London und nahm den Flieger am nächsten Tag. Kannst Du Dir das vorstellen? Sie hat alles in Bewegung gesetzt, um ihr Bewerbungsgespräch meinetwegen zu verschieben. Ich liebe solche Frauen. Mich hat das so beeindruckt. Ich finde, Du solltest auch einfach mal was Neues wagen. Dich auf etwas einlassen, was Du noch nie vorher gemacht hast. Wie schaut es nun mit der Massage aus?

Chloe: Nee.

Dan etwas verzweifelt: Soll ich Dir zeigen, dass ich die Apps auf meinem iPhone tanzen lassen kann?

Chloe: Hey, Du kannst mich nicht für blöd verkaufen. Ich habe selber ein iPhone.

Dan wirft sein iPhone patzig auf die Couch: Du brauchst wirklich eine Massage!

Chloe fühlt sich langsam richtig genötigt und merkt, dass Dan immer aggressiver in seinem Verlangen nach dieser blöden Massage wird. Sie will nun so schnell wie möglich aus der Wohnung raus. Hat auch das Verlangen sofort Maya zur Sicherheit zu benachrichtigen. Um Zeit zu schinden hält sie Dan wie folgt hin.

Chloe: Was ist, wenn ich Dich massiere?

Dan: Ja, ja! Das ist eine ganz tolle Idee!! Falls Du vorher noch aufs Bad willst, fühl Dich frei!

Chloe muss nach den zwei Gläsern Prosecco tatsächlich auf Toilette. Als sie herauskommt, hat Dan das Licht im Schlafzimmer ausgemacht und zieht gerade seine Socken aus. Die Schuhe liegen schon in der Ecke.

Dan in einem natürlichen Ton: Willst Du eine Boxershorts?

Chloe reißt der Faden: Eine Boxershorts? Wozu? Seit wann muss man sich als Masseur ausziehen?

Dan: Das ist eine gegenseitige Massage. Danach massiere ich Dich!

Chloe: Jetzt reicht es. Heute wird hier niemand massiert! Ich gehe.

Dan sauer: Du bist so eine Lügnerin. Erst behauptest Du, Du seist spontan, und dann bist Du es doch nicht. Später versprichst Du mir eine Massage und auch das hältst Du nicht ein!

Chloe: Ich muss gar nix. Außerdem hast Du niemals von den Boxershorts-Rahmenbedingungen gesprochen.

Dan gefasst: Also, Du kannst Deinen Prosecco austrinken und dann gehen!

Chloe, die zum ersten Mal ihr Glas aus den Augen gelassen hat, weil sie auf Toilette war, wird nun ängstlich. Nicht, dass der Typ mir jetzt auch noch was ins Glas geschüttet hat. Ich tue triumphierend nur so als würde ich einen Schluck Prosecco nehmen. Knalle das Glas auf den Glastisch, packe meine sieben Sachen und resümiere resolut: Ich kann auch gehen, ohne mein Glas auszutrinken.

Der kleine Dan stellt sich in seinen Adiletten vor mich, um mich zu verabschieden. Er gibt mir die Hand. Sein Gesicht nähert sich zu einem verzweifelten Kuss. Ich stoße den kleinen Mann weg und laufe ohne ein weiteres Wort direkt aus der Wohnung.

Dan schreit hinter mir her: „Ich verrate Dir jetzt, was ich Dir erst nach der Massage sagen wollte. Ich kann gar nicht massieren. Das wäre mein erstes Mal gewesen. Ich wollte auch einfach mal was Neues ausprobieren.“

Ich kann es nicht fassen, dass mir tatsächlich so etwas passiert ist. Irgendwie bin ich auch über mich selber beschämt, dass ich der Scheiße auch noch so lange zugehört habe.

18 Uhr

Ich trete bei Maya ein. Sie fragt, ob ich einen Tee oder Kaffee will. Ich mayne nur: WEIN! Das ganze kann man gar nicht anders ertragen.

Chloe: Es ist echt unfassbar, dass jeder Idiot ohne sich einzuloggen auf diese Stellenanzeigen Zugriff hat. Stell Dir mal vor, da wäre ein jüngeres Mädchen hin! Ich lösche jetzt auf alle Fälle alle meine Einträge bei WG gesucht, zeige den Typen an und benutze in Zukunft nie wieder meinen echten Namen!

Telefon klingelt. Chloe hat die Zusage für eine Zwischenmiete, bei der sie gestern auf Wohnungsbesichtigung! Geht doch…

11 Antworten

  1. Ohhh Mann! Nach dem ersten Schreck und mit dem Wissen, dass du da heil herausgekommen bist, gibt die Geschichte zum Glück eine Menge Amüsantes her. Trotzdem bin ich immer noch schockiert, wie so ein präpotentes Arschloch glauben kann, mit dieser unglaublichen Masche durch zu kommen.
    Obwohl die vielen Ungereimtheiten im Nachhinein schon offensichtlich erscheinen, wenn man drinsteckt merkt man es ja leider nicht so schnell. Auf mayne skeptischen Nachfragen zu Ort und Kosten hattest du ja immer irgendeine seiner Antworten parat.
    Ich selbst hätte vermutlich dauernd lachen müssen und überall nach der versteckten Kamera gesucht!
    Fraglich bleibt nur die wahre Identität des Möchtegern-Masseurs. Vermutlich der Hausmeister oder einer, der in der Wohnung sein Unwesen treibt, in der er sich während der Abwesenheit der Inhaber um Blumen und Post kümmern soll.
    Mein absoluter Lieblingssatz: „Soll ich Dir zeigen, dass ich die Apps auf meinem iPhone tanzen lassen kann?“ Die Briefmarkensammlung der Zukunft! Bringe ich demnächst auch – allerdings um Leute los zu werden…

    • Ach ja!! Das hatte ich noch ganz vergessen. Zu Deiner Hausmeister-Theorie passt natürlich, dass Dan mitten drin einmal panisch aufsprang und meinte: „War da gerade eben jemand in der Küche?“ Entweder wollte er mich mit dem „Chinesen auf dem Dach“ einschüchtern, oder er war doch selber ein Eindringling.

  2. hallo chloe, mich würde sehr interessieren, ob du dan herzl oder borello damals wirklich angezeigt hast und was später daraus geworden ist… mila

    • Liebe Mila,

      ich habe mich damals sofort bei wg-gesucht.de gemeldet. Die waren recht kompliziert und haben den Fall auch nicht ganz verstanden. Ich habe denen erklärt, dass „Herr Herzl“ sich auf meine Anzeige hin gemeldet hat. Die meinten, dass sie nur aktiv werden können, wenn ich die Nummer des Inserats durchgeben kann. So durchforschte ich also auf eigene Faust die wg-gesucht.de Plattform nach der Telefonnummer und Adresse von „Herrn Herzl“. Ich fand auch tatsächlich zwei Anzeigen mit unterschiedlichen Namen. Daraufhin meldete ich mich wieder bei wg-gesucht.de. Die versprachen mir, die Anzeigen zu löschen. Das ist auch passiert. Aber mir war klar, dass man durch diese Aktion „Herrn Herzl“ nicht aufhalten kann. Eine Anzeige bei der Polizei habe ich nicht erstattet. Da wir jedoch auf SpreeSee seit einer Woche vermehrt Suchanfragen zu „Borello“ & „Ansbacher Straße“ bekommen, scheint der Hochstapler wieder aktiv zu sein… Falls Dir das gleiche wie mir passiert ist, könnte man evt. zu Zweit tatsächlich auch eine Anzeige bei der Polizei erstatten.

      Ade

      Chloe

  3. Ich bin so erschrocken und shockiert in Moment….Ich habe gestern Abend dieser Typp kennengelernt…alles war daselbe..ALLES…Icgh suche auch einen Wohnung und hatte eine Anzeige bei Wg gesucht angesstellt….Nach 2 Stunden rufft er mich an…Es war Mitternacht und ich sollte vorbei kommen, jetzt oder nie…er sollte am nächsten Tag um 08.00 nach London fliegen….Ich habe natürlcih abgesagt…dann hat er mich am nächsten tag angeruffen…er hat den Flug verloren und bleibt noch ein tag…Alles klang so kommish….. also ich habe eine Freundin zum Besuch mit genommen…….was und wie er geläbert hat , wie er die Tür auf gemacht hat, goldene Knopfen, Iphone, Massage Scheisse, Vermutet Bein und Magen Schmerzen, Vater Senator…in meinem Fall war die Mutter deutscher und vater italiener, Und es gab Kässe statt Tomaten….aber der Rest…es ist genauso, 100%, wirklich, genauso gewessen…jetzt fühle ich mich als ob ich mein eigenes Leben geleseen hätte….Hat mir sogar angeboten das Apartmente mir einfach kostenlos zu geben…Oh Gott….Bitte, ich würde gern mit Dir quatschen…wir mussen irgendwas machen… Polizei oder keien AShnung…Ich fand das alles so strange ich habe einfach sein name in Google eingegeben und dann habe ich dein Blog gefunden…ich bin einfach total unter schock…was gestern Nacht mir passieren konnte…..Schreib mir bitte bitte ein Email . Das ist ernst…Der Typp ist ein winziger kleiner Penner..troztdem kann er mit solchen Scheiss junge Mädchen beindrucken…

    • Liebe Pilar,

      ich habe Dir gerade per Email geantwortet. Die Woche steht ganz im Zeichen von: Stoppt Borello !!

      Adieu

      Chloe

  4. OMG!
    Ich auch! Warum habe ich den Eintrag nicht früher gesehen…
    Kann man ihn bei der Polizei anzeigen?
    Ich fass‘ es nicht.

    • Ich habe Dir diesbezüglich gerade eine Email geschickt. Anzeige läuft… !!! Der Sausack darf doch damit nicht durchkommen!

  5. […] ersten Mal handelte es sich um den massierenden Hochstapler Borello. Mir war zum Glück außer etwas Gänsehaut nicht viel passiert. Nach meinem Blogeintrag landeten […]

  6. […] Plattform wären gewisse Koinzidenzen niemals aufgetreten. Wo hätte Chloe sonst ihr Erlebnis mit Borello, dem massierenden Wohnraumbeischlafbetrüger, niederschreiben können? Wie hätte Paloma im anderen […]

  7. […] ganze Samuel-Geschichte erinnert mich stark an meinen Borello! Nicht, dass der jetzt von WG-Gesucht auf Couchsurfing umgestiegen ist… Samuel bedient ja […]

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